Barocker Naturbursche
Der Innendesigner Jorge Cañete wohnt bei Vevey in einem Schloss aus seiner Lieblingsepoche
Von Claudia Schmid
Obwohl Jorge Cañete schon seit drei Jahren in einem Schloss bei Vevey wohnt, kneift er sich jeden Morgen in den Unterarm, um sicherzugehen, dass alles Realität ist. «Es ist wie ein Märchen», sagt der Genfer Interiordesigner mit spanischen Wurzeln; ein allüreloser, herzlicher Mann. Er richtet private Häuser ein, gibt Einrichtungs-Workshops und unterrichtet an der Architektur- und Designschule Atheneum in Lausanne.
Seit er Kind ist, träumt der 42-Jährige davon, in einem Schloss aus dem 18. Jahrhundert zu wohnen – was jetzt der Fall ist. «Es ist meine Lieblingsepoche. Alles, was damals en vogue war, interessiert mich: die klassische Musik, das Theater, die Architektur.» So ist die Fassade des Schlosses mit einem für die damalige Epoche typischen Trompe-l’?il ausgestattet. Mauerwerk und Fensterrahmen sind nur aufgemalt. Als Cañete im Internet sah, dass der östliche Flügel des hufeisenförmigen Schlosses zu vermieten war, bewarb er sich. Die Besitzer, die anonym bleiben wollen und im Hauptflügel wohnen, gaben ihm den Zuschlag. Schliesslich weiss Cañete, wie man das Optimale aus Räumen herausholt. Je älter sie sind, desto besser. «Ich selbst könnte nie in einem Neubau wohnen.» So wohnte er zuvor in einem Altbau in Genf mit Parkettboden und Cheminée.
Die Bücher haben die gleiche Farbe wie die Frotteetücher
Cheminées und Parkett gibt es auch hier, daneben fünf Zimmer sowie ein Schlossgarten mit prächtigem Blick auf Magnolienbäume und den Genfersee. Die alten Pferdeställe stehen leer; das Theater im rechten Flügel gibt es nicht mehr. «Es war einst ein Lustschloss im französischen Stil und gehörte einem wohlhabenden Mann namens Pierre Canac», sagt Cañete und zeigt auf das Eingangstor. «Seit 200 Jahren steckt hier der gleiche Schlüssel drin!»
Das Innere des Schlosses ist nicht minder eindrücklich. Die mehrheitlich französischen Möbel, darunter Stühle von Philippe Starck, sind zwar modern, passen aber zum alten Schloss. Das liegt daran, dass Cañete deren Farben der historischen Bausubstanz angepasst hat: Überall dominieren Brauntöne – ausser im bunten Bad. Der Perfektionist hortet dort Bücher, die die gleiche Farbe wie die Frotteetücher haben: Blau, Grün, Rot. Ansonsten ist die Natur seine grösste Inspiration. In Vasen stehen getrocknete Blumensträusse; in kleinen Schalen liegt Moos.
Äste, Baumrinden und Federn, auf Spaziergängen gesammelt, sind die wichtigsten Deko-Elemente. Daneben spielt die Einrichtung auch auf die Vergangenheit an. Handgeschriebene Briefe aus dem 18. Jahrhundert im Wohnzimmer «sind eine Hommage an die alte Handschrift. Heute bekommt man ja nur noch Rechnungen!» Buchstaben haben es Cañete sowieso angetan: Das Geschirr ist mit einem Gedicht des portugiesischen Dichters Pessoa verziert, ein arabischer Schriftzug schmückt den Gang.
Die Vorhänge im Schlafzimmer haben denselben ockerfarbenen Ton wie die Fassade vor dem Fenster. «Ich wollte, dass sich die Fassade auf den Vorhängen spiegelt.» Das Spinett im Bibliothekszimmer ist eine Reverenz an die Kammermusik des 18. Jahrhunderts und «viel einfacher zu spielen, als ein Klavier».
Viel öfter als am Spinett sitzt Cañete allerdings an seinem Bürotisch im Zimmer nebenan, der mit Tapeten- und Stoffmustern belegt ist. «Ich blicke in die Weite und bin sofort inspiriert. Es ist ein Traum, so arbeiten zu können.» Bei seiner Arbeit bezieht er stets die Persönlichkeit seiner Kunden sowie den Ort, an dem sie leben, mit ein. Leute, die sich von ihm «etwas wie im Möbelkatalog» wünschen, werden deshalb erst Mal richtig ausgefragt – damit sie ihren persönlichen Wohnstil finden. «Ich frage sie zum Beispiel: «Wenn sie eine Stadt wären, welche möchten Sie dann sein?»
Welche Stadt wäre er denn selbst? «Eine Mischung aus einer sehr alten und einer neuen Stadt. Rom und New York!»